Zum Erfolg (oder Misserfolg) von Gegenwartslyrik in Regionalsprachen
Vor dem Brexit zählte man in der Europäischen Union 23 offizielle Mitgliedssprachen, 60 indigene Regional- oder Minderheitensprachen (davon fünf teilweise anerkannt) und 30 weitere Sprachen ohne Status. (Vgl. Meirion Prys Jones „Vom Aussterben bedrohte Sprachen und Sprachenvielfalt in der Europäischen Union.“ Themenpapier der Fachabteilung B: Struktur- und Kohäsionspolitik. Europäisches Parlament. Brüssel 2013)
Lyrik wird gegenwärtig in allen diesen Sprachen – unabhängig von ihrem Status – geschrieben und veröffentlicht.
Dennoch treten in der Rezeption vieler Regional- und Minderheitensprachen signifikante Unterschiede auf. Während beispielsweise Schottisches Englisch auf eine sehr positive Resonanz stößt, sind viele Regionalsprachen in Deutschland und den Nachbarländern vom Aussterben bedroht. Diese Entwicklung ist umso beunruhigender, da viele der ‘Kleinen Sprachen’ – wie Moselfränkisch, Bairisch, Alemannisch oder Friesisch – bislang eine grenzüberwindende, stabilisierende Klammerfunktion ausüben konnten.
Der Vortrag geht der Frage dieser höchst unterschiedlichen Rezeptionen nach. Dabei wird anhand von Beispielen erkundet, dass die positive (oder negative) Rezeption von Gegenwartslyrik in germanischen, slawischen oder romanischen Regionalsprachen weniger von der Qualität der Dichtung selbst abhängig ist. Vielmehr wird die Möglichkeit skizziert (aber nicht bestätigt), dass die Rezeption von Lyrik in ‘Kleinen Sprachen’ von komplexen kulturellen und historischen Mustern beeinflusst wird, deren Analyse sogar eine Anschlussfähigkeit an die Postkoloniale Theorie aufweist.
Dr. Matthias Fechner ist Mitglied der Forschungsinitiative Rheinland-Pfalz und Research Associate der DFG-Kollegforschungsgruppe “Russischsprachige Lyrik in Transition”.