FOR 2603 2017 – 2023
AG-Sitzung 30/06/2021
Die DFG-Kolleg-Forschungsgruppe „Russischsprachige Lyrik in Transition“ (FOR 2603) lädt Sie herzlich zu einem Gastvortrag von Prof. Dr. Claudia Benthien und Dr. Norbert Gestring über die Video-Plattform Zoom ein. Bitte melden Sie sich bis zum 29.06.2021 bei Anna Fees (anna.fees@uni-trier.de) an, um an der Live-Veranstaltung teilzunehmen. Den Teilnehmerinnen und Teilnehmern werden die Zugangsdaten zur Zoom-Sitzung kurz vor Veranstaltungsbeginn zugeschickt.
Public Poetry. Lyrik im urbanen Raum
Claudia Benthien (Hamburg) und Norbert Gestring (Oldenburg)
Das interdisziplinäre Forschungsprojekt führt literaturwissenschaftliche und stadtsoziologische Ansätze zusammen und wird in einer Buchpublikation resultieren. Es widmet sich der visuellen und auditiven Präsenz von Lyrik in urbanen Settings. Zum Beispiel „Poetry in Motion“: gerahmte und ornamentierte Gedichte in der U-Bahn unterschiedlicher Metropolen. Oder großformatige Gedichte auf Fassaden, sei es temporär, etwa durch fluide Lichtprojektionen im Rahmen von Kunst-Events, sei es dauerhaft, durch die Beschriftung der Hauswände mit riesigen Versen. Auch „Billboard Poetry“ (Gedichte auf Plakatwänden) oder Lyrik als Neonschrift-Installation in Parks und auf öffentlichen Plätzen sind hier zu nennen. Akustische Präsentationsformen lyrischer Sprache spielen ebenfalls eine Rolle: von technisch verstärkten Spoken-Word-Events, die ‚Poesie‘ im urbanen Raum hörbar machen, bis hin zu poetischen Interventionen, zum Beispiel das Deklamieren von Gedichten durch ein Megaphon an symbolträchtigen städtischen Orten oder ihr Herabregnen vom Himmel durch einen Hubschrauber. Es werden sowohl öffentliche Lyrik-Projekte untersucht, die von der Stadtverwaltung genehmigt wurden, als auch informelle, durch Dichter:innen oder Anwohner:innen selbst initiierte, die derart ihr „Recht auf Stadt“ (Henri Lefebvre) beanspruchen.
Analysiert wird nicht allein die Ästhetik dieser sehr unterschiedlichen, schriftkünstlerischen oder performativ-auditiven Arbeiten, indem danach gefragt wird, wie und warum die verwendete Sprache ‒ im Unterschied etwa zu Werbeplakaten, Wegweisern oder Graffiti ‒ als ‚poetische‘ rezipiert wird. Es wird auch eine stadtsoziologische Perspektive eingenommen und untersucht, wie Lyrik zur Raumproduktion an den konkreten Orten beiträgt. Theoretisch stützt sich das Projekt auf lyrik-, kunst- und raumtheoretische Ansätze, empirisch auch auf eigene Erkundungen vor Ort durch Beobachtungen und Interviews mit Passant:innen, Anwohner:innen, Dichter:innen und Initiator:innen.
Das Forschungsprojekt geht davon aus, dass der städtische Raum nicht mehr mit einer Dichotomie von privaten und öffentlichen Räumen hinreichend beschreibbar ist. Durch Prozesse der Privatisierung, Kommerzialisierung und Überwachung haben sich Raumtypen entwickelt, die ihr nicht mehr gerecht werden: Shopping Center, Business Improvement Districts und Transiträume, die Marc Augé als „Nicht-Orte“ ohne Geschichte und Identität beschrieben hat, sind dafür Beispiele. Eine der grundlegenden Annahmen ist es, dass Lyrik, die sich oft als ‚subjektive‘ Sprechweise ausgibt, dazu beiträgt, diese Veränderung zu reflektieren. Gefragt wird daher, wie Lyrik in urbanen Räumen wahrgenommen wird, ob sie Irritationen hervorruft und internalisierte Verhaltensroutinen in Frage stellt, ob sie sich in Trends der Raumentwicklung lediglich einfügt oder neue, kritische Perspektiven motiviert.