Konferenz-Panel, 24. September 2019

Slavistentag in Trier – „Lyrik in Transition“ (Stream mit fünf Panels und zwei Plenarvorträgen)

Zeit:
24. September 2019 - 26. September 2019
Ort:
Universität Trier
Sprache:
  Deutsch  /    Russisch

Die DFG-Kolleg-Forschungsgruppe Russischsprachige Lyrik in Transition (FOR 2603) lädt Sie herzlich zu dem Slavistentag 2019 an der Universität Trier ein. Es werden zwei Plenarvorträge und fünf Panels des Kollegs im Rahmen dieser Konferenz stattfinden.

Plenarvorträge, 25.09.2019 im Audimax der Universität Trier
Moderation: Henrieke Stahl (Trier)

1) 09:00 – 09:50 Uhr: Stephanie Sandler (Boston, MA): Russia Will Be Free: Recent Poems by Russian Women

Russian poetry has a long history of political poetry, but recent poems by women take on gender- and sexual-orientation-based discrimination and harassment, topics long passed over in silence in Russian public life. They challenge any legacy that poets speak in concert with the ambitions of the Russian state or serve ideological projects, thus opening out new avenues for poetic free speech. This lecture argues that more than any other rubric of poetry in the contemporary period, the poetry of ethics and politics has been revolutionized by the work of women. It focuses on the work of Elena Fanailova, Galina Rymbu, Oksana Vasiakina, and Lida Yusupova. They break new ground in promoting conversation as a pathway toward democratic freedom and in seeking a philosophical and historical basis for free individual utterance (Fanailova and Rymbu). They use legal documents to expose the failures of the state to respond to sexual violence against women and gay people and then sing with the voice of the ancient Furies of the harms women have endured (Yusupova and Vasiakina). These projects are separable and each poet is to be respected and read on her own terms, but taken together, they offer us a glimmer of what a free Russia might look like for persons of all genders and sexual orientations.

2) 09:50 – 10:40 Uhr: Mark Lipovetsky (Boulder, CO): Still Alive? Neo-Romanticism in the 20th-century Poetry and Today

Neo-Romanticism has become one the most influential, albeit not recognized as such, trends in Russian poetry of the 20th century. In the first part of my paper I will attempt to isolate the aesthetic core of poetic Neo-Romanticism that can be traced in the works of such dissimilar poets as Nikolai Gumilev and Aleksandr Vertinsky, Eduard Bagritsky and Boris Slutsky, Bulat Okudzhava and Vladimir Vysotsky. In the second part of the paper I will focus on what can be defined as “dialogues with Neo-Romanticism”, or Neo-Romanticism 2.0 in contemporary poetry as exemplified by Maria Stepanova, Andrei Rodionov, Sergei Zhadan, among others.

 

Panels, 25.09.2019 – 26.09.2019 in Raum B 14

Lyrik zeigt sich in verschiedenen slavischen Ländern zunehmend im öffentlichen Raum politisch engagiert: Sie partizipiert an politischen Diskursen, baut eigene politische Diskurse auf oder wird Teil politischer Projekte und Proteste off- und online. Das Panel widmet sich partizipatorischen Formen neuerer Lyrik in Bulgarien, Kroatien, Polen, Russland, Ungarn und Tschechien. Gemeinsam ist der im Panel behandelten Lyrik, dass sie an avantgardistische Experimente sowie an konzeptualistische Erfahrungen der Sowjetzeit anknüpft und diese produktiv weiterbildet.

Henrieke Stahl (Trier): Transitorische Subjektformen in russischer politischer Lyrik
Das Subjekt spielt in politischer Lyrik traditionell eine zentrale Rolle und tritt als einheitliche, eine Position vertretende Instanz auf, die Garant für Authentizität ist und oftmals den Bezug zum realen Autor unterstreicht. Neuere Lyrik, die ihre politischen Positionen partizipativ im öffentlichen Raum sichtbar macht, bildet in dieser Hinsicht keine Ausnahme. Allerdings unterscheidet sich der Umgang mit der Subjektkategorie gerade in anspruchsvollen Projekten von traditionellen Formen: Sie entwickeln auch bei einer deutlichen Bezugnahme zur Person des Autors komplexe Subjektstrukturen mit einem offenen, dispersiven oder dynamisch proteischen Subjekt, das sich gern in verschiedenen Medien unterschiedlich gestaltet. Diesen Subjektformen ist gemeinsam, dass sie transitorischer Natur sind, d.h. Grenzen von Identität, Einzelnem und Kollektiv, ästhetischer und pragmatischer Funktion oder auch zwischen öffentlichen und privaten sowie realen und medialen oder faktualen und fiktiven Räumen überschreiten. Der Vortrag erarbeitet Grundformen transitorischer Subjektformen in der Lyrik, wie sie Pavel Asen’ev, Kirill Medvedev oder auch Roman Osminkin in ihren politischen Projekten einsetzen.

Tomas Glanc (Zürich): Poetische Interventionen und ihre Konsequenzen bei Mladen Stilinović, Vlado Martek, Grupa šestorice autora, Tamás Szentjóby, Ewa Partum und Katalin Ladik
Das gesprochene oder geschriebene Wort im öffentlichen Raum konfrontiert Poesie mit dem Politischen und schließt einen direkten Ideenaustausch innerhalb einer Gemeinschaft. Dichter oder Künstler nutzten die Straße als offenen, interaktiven Raum, der die Buchseite oder den konventionellen Ausstellungsraum ersetzen soll. Autoren experimentieren mit Methoden und Verfahren, die darauf zielen, den abgegrenzten Raum der Kunst zu überschreiten und direkt in den Alltag einzugreifen. Welche Konsequenzen haben solche poetische Verfahren?

Henrike Schmidt (Berlin): „Der Ball der Tyrannen“. Plamen Dojnovs poetische Intervention in die Schmerzzonen der bulgarischen Öffentlichkeit

Im Jahr 2016 formuliert der bulgarische Dichter-Philologe Plamen Dojnov sein Programm „der neuen politischen Poesie“, zunächst im Rahmen einer Lesung, später in dem Gedichtband Der Ball der Tyrannen (Balǎt na tiranite, Sofia 2016). Der Band umfasst Gedichte, die sich den Problemen der aktuellen Politik widmen (Oligarchie, Rassismus, Migration), aber auch dem wenig aufgearbeiteten Erbe der kommunistischen Ära. Zentral ist ein Gedichtzyklus, der die Tätigkeit von Literaturwissenschaftler*innen und Übersetzer*innen als Informanten der bulgarischen Staatssicherheit thematisiert. Er ist das Ergebnis wissenschaftlicher Recherchen in den Archiven der Staatssicherheit, die der Autor in eine poetische Aussage verwandelt.
Seiner neuen politischen Poesie weist Dojnov weniger eine moralische als eine performative Intention zu: „Jede ihrer Allegorien verwandelt sich in direktes Sprechen, weil sie von Angesicht zu Angesicht zu den Dingen und den Menschen steht […].“ Der Ball der Tyrannen intendiert eine poetische Intervention in die Schmerzzonen der dysfunktionalen bulgarischen Öffentlichkeit.
Der Vortrag kontextualisiert Dojnovs Neue politische Poesie vor dem Hintergrund der Renaissance engagierter Literatur. Welche gesellschaftliche Funktion formuliert die Neue politische Poesie eingedenk der Instrumentalisierung politischer Lyrik in der sozialistischen Vergangenheit? Wie gestaltet sich bezüglich des direkten Aussagecharakters das Verhältnis von schriftlicher und stimmlicher Performanz?

Klavdia Smola (Dresden): Politische Performance-Lyrik in Polen: Jaś Kapelas Slam-Poetry
Die konservativ-populistische Wende und die zunehmende Unifizierung der Öffentlichkeit in Ost(mittel)europa führten in den 2000-2010er Jahren zur (Re)Politisierung der Kunst und Literatur sowohl rechts als auch links von der „Mitte“. Die linke Kultur ergibt in Ländern wie Russland, der Ukraine und Polen dabei eine ganz eigene, neue Variante des intellektuellen Dissens’, in der verschiedene Traditionen des künstlerischen Engagements zusammenlaufen: europäische Avantgarde; globale Praktiken des Art-Protests; internationale linke Philosophie und Kultur des Undergrounds im Spätkommunismus. Der von mir als heuristische Stütze verwendete Begriff der transformativen Ästhetik verweist auf das wesentliche Merkmal der neuen alternativen Kunst: Ästhetisch-formale Experimente des vergangenen Jahrhunderts werden reflexiv aufgenommen und zugleich im Sinne ihres möglichen sozialen und politischen Einflusses – Transformation der außerästhetischen Lebensbereiche – umgedeutet.
Als Beispiel für diese Tendenzen analysiere ich die politische Performance-Lyrik des polnischen Dichters, Feuilletonisten und Künstlers Jaś Kapela (geb. 1984) und seine Slam-Poetry-Performanzen. Kapela gehört zu den linken Dichtern um „Krytyka Polityczna“ und war Gewinner des ersten polnischen Poetry-Slams im Jahre 2003. In seinem Werk verkreuzen sich politischer Protest, ironische Selbstmythologisierung als Außenseiter und radikale Entgrenzung der Ästhetik hin zur den Bereichen Politik, Ökologie, Stadtplanung und Ökonomie.

Tagespolitik hat die ostslavische Gegenwartslyrik seit der Perestrojka nicht losgelassen. „Farbige“ Revolutionen und kriegerische Ereignisse haben Dichterinnen und Dichter stets aufs Neue dazu veranlasst, wenn nicht genötigt, Politik lyrisch zu verarbeiten. In diesem Panel soll die Zusammenspannung von Lyrik und Politik aber nicht allein über politische Aktivitäten oder tagespolitische Einmischungen von Dichterinnen und Dichtern, sondern auch literaturtheoretisch definiert werden. Selbst wenn die Gedichte, welche die Beiträgerinnen und Beiträger interessieren, gelegentlich auf Politik reagieren, kann es für zeitgemäße Lyrikforschung nicht um „Widerspiegelung“ von Politik in Dichtung gehen.
Im Geiste des „performative turn“ ist vielmehr spannend, vergleichend zu untersuchen, wie Lyrik performativ Politik macht: Welche sprachlichen, welche dichterischen Mittel werden herangezogen, um politische (Sprech-)Akte zu vollziehen? Wie kann Lyrik die Hassrede ideologisierter Politik aneignen? Wie schreibt sie gegen Imperialsprache an? Welche politischen Signale setzen ostentativ präpostmoderne Schreibweisen? Wie wird durch Neologismen feministische (Sprach-)Politik betrieben? Wie schreibt die Nutzung von Vulgärsprache Lyrik in politische Momente ein? Welches ist die performative Politik der Mehrsprachigkeit oder des Wechsels der Dichtsprache?
Die Beiträge untersuchen die diversen Spielarten, wie Dichtung Politik macht, anhand von russischen und ukrainischen Gedichten des 21. Jahrhunderts.

Roman Dubasevych (Greifswald): „Ty i ya nas okeanom nese / v nyomu my zmozhemo vse”1: poetry and the cultivation of political passion
At least since Baudelaire’s criticism of the bourgeois world of the Second Empire there is little doubt how powerful and instructive the lyrics can be in terms of political statement and societal diagnosis. While it would be hardly possible to find poetry eulogizing the parliamentary debates, the routines of institutions and bureaucracies, poetic forms are invaluable in detecting and describing the non-structural, processual dimension of politics – the political moment, the atmosphere, finally, to produce the language signaling a profound social change. By doing this poetry can function like a relays, both ways – reading “the street” and injecting its formulas into the politics as well as inventing its very language through artistic tropes. Focusing on a controversial agitatory poem by a Western Ukrainian author Yuriy Vynnychuk, and on the lyrics of the famous Ukrainian rock band Okean El’zy the presentation will follow these two strategies and discuss their sometimes contradictory results.

1. engl: „You and I are being carried by the ocean / within we can everything”, „Ty i ya” from „Gloriya” by Okean El’zy.

 

Ekaterina Evgrashkina (Trier): Politik des Geschlechts: neuere radikal-feministische Lyrik Russlands

Die Repatriarchalisierungsprozesse in der russischen Gesellschaft (vgl. rezente Diskussionen über Dekriminalisierung der häuslichen Gewalt usw.) führen zu konträrer Entwicklung bzw. Aktualisierung unterschiedlicher feministisch ausgerichteter Protestformen. Der radikal-feministische Diskurs tritt gegen Genderrollen bzw. -stereotypen und vor allem gegen sexuelle Objektivierung von Frauen und ihrer Körper auf. Die radikal-feministische Gegenwartslyrik Russlands weist ein breites Spektrum poetischer Modalitäten des Umgangs mit dem Problem der Gewalt und den Frauen zugewiesenen Lebens- und Verhaltensweisen auf: von Metaphorisierung allgemeiner Freiheits-Macht-Verhältnisse und diskursiver Relativierung von Gender / Geschlecht (bei Elena Georgievskaja) über Dekonstruktion der rechtlichen Macht-Diskurse und von ihnen verursachter Diskreditierung des weiblichen Körpers (bei Lida Jusupova) bis zur Manifestierung der Frauensolidarität, mythologischer Konstituierung kollektiver weiblicher Körperidentität und Entwicklung lesbisch-separatistischer Utopie (bei Oksana Vasjakina). Die „verspätet“ aktualisierten radikal-feministischen Motive in der russischen Gegenwartslyrik bilden vielschichtige Parallelen zu jeweiligen Motiven in der europäischen Literatur der 1970- 90er Jahre („Corps Lesbien“ (1973) und „Virgile, non“ (1985) von Monique Wittig; „zügellos“ (1989) und „grenzen los fremd gehen“ (1992) von Gabriele Stötzer), was ebenso im Vortrag ausführlich dargestellt und analysiert werden wird.

Dr. Anna Gavryliuk (Trier): Donbass as a Literary Topos in Iya Kiva’s Poetry
Since 2013 political issues have gained a new function in the field of contemporary poetry in Ukraine. The war in the East of Ukraine can be characterized not only by violent events and liminal contexts, but also by a remarkable increase of aesthetic and cultural movement in Ukrainian society. Following a tradition of resistance in Ukrainian poetry with such poets as Ivan Franko and Taras Ševčenko, a new form of lyric has emerged – war and revolution poetry. This paper explores the concept of a literary topos in Iya Kiva’s poetry. In particular, it focuses on Donbass as the prototype of the war and devastation space. Kiva’s recent volume of poetry Far away from Paradise («Подальше от рая») broaches such topics as memory, war, violence, traumatic experience, identity search, boundaries and their transition and includes poems in the Russian and Ukrainian languages, written in 2014-2018. Donbass and the author’s native town, Donetsk are represented as a textual space based on the principles of symbolism, archetype, and intertextuality. Donbass is referred to as a metatext in the discourse of political and civil poetry by Iya Kiva and is significant for the city’s image and its semantic features.

Rainer Grübel (Oldenburg): Poetisches Subjekt und politischer Habitus. Poetik und Politik in A.A. Vituchnovskajas Leben und Werk im 21. Jahrhundert

Der Vortrag über die Poesie und Politik von Alina Vituchnovskaja, die in Personalunion Poetin mit zehn Vers- und Prosabänden und Politikerin ist (und sich ausweislich ihrer Präsidentschaftskandidatur als solche auch versteht), wird die zwei Seiten ihrer kulturellen Aktionen so aufeinander beziehen, dass sowohl Kongruenzen also auch Inkongruenzen zutage treten. Als 1973 Geborene trat sie 1991, das heißt gerade nach dem Zerfall der Sowjetunion ins Erwachsenenalter. Sie gehört damit zu der Generation, die noch die sowjetische Schule besucht hat, dann aber in eine ganz andere Welt entlassen worden ist.
Von Interesse sind poetisches Werk und politische Praxis von Alina Vituchnovskaja gerade dadurch, dass sie sich keiner Richtung des ideologischen Mainstreams angeschlossen hat und auch allen in Russland bestehenden politischen Parteien kritisch gegenübersteht. Entspricht diesem Versuch ostentativen Andersdenkens, das auf durchaus ambivalente Weise auch den traditionellen Antifaschismus und den militantеn Feminismus verwirft, ein vergleichbares Anderssprechen, das sich in ihrem poetischen Werk artikuliert? Ihre Poetik, die oft einem radikalen Neorealismus zuzuneigen scheint, stellt sich gleichermaßen in Kontraposition zu Konzeptualismus, Postmoderne und Neoavantgarde.
Wie korreliert nun aber das von ihr als radikal-liberal gekennzeichnete Programm mit seinen im gegenwärtigen Russland umstürzlerisch wirkenden Ideen der Rückerstattung der unter Putin besetzten Krim an die Ukraine, der entsprechenden Deimperialisierung sowie der Entatomisierung des Landes mit einer radikalen poetischen Sprechpraxis, die der (neo-)sowjetischen ideologischen Semantik ebenso eine Absage zu erteilen sucht wie inklusionsversessener Postmoderne und dekonstruktivistischem Irrealismus? Wo liegen die philosophischen Anknüpfungspunkte einer solchen bewussten Ohn-Macht-Politik, wo die ästhetischen einer solchen vormodernen Poetik? Sind sie sie auf kulturtheoretisch und kulturhistorisch begründbarer Weise aufeinander zu beziehen, bilden sie mit Blick auf die Politikerin und Poetin zwei komplementär Facetten einer konsistenten (weiblichen) Persönlichkeit oder geben sie eher komplementäre Möglichkeiten einer kulturellen Akteurin zu erkennen?

Michail Pavlovec (Moskau): Die Leere des Politischen: Leere-Texte zwischen Performance und Demonstration

Ein Zero-Text ist ein Text, der vollständig fehlt und durch seinen eigenen Paratext substituiert wird. Dieser Text ist ein Akt reiner Aussage, deren Inhalt allein durch den Kontext, den Akt der Präsentation und die Figur des Autors/Präsentators sowie den Charakter des «Rahmen-Textes» konstituiert ist. Das politische Potenzial von „Zero-Text“ unter den Bedingungen eines autoritären Regimes zeigt nicht nur ein bekannter Witz über Rabinovich, der leere Flugblätter auf dem Roten Platz verteilt, sondern auch die wörtliche Umsetzung der in der Folklore simulierten Situation in einer Reihe von Protestaktionen im postsowjetischen Russland. Der «Prager Frühling» von 1968 mit seinen ästhetischen Formen des politischen Protests war zweifellos ein Auslöser nicht nur für die Menschenrechtsbewegung in der UdSSR, sondern auch für das Interesse an der Arbeit der Dichter mit politischer Bedeutung, wie sie in der Verwendung von „Zero-Texten” durch Alexander Kondratov, D. A. Prigov und Lev Rubinštejn zu finden sind. Der Vortrag behandelt Zero-Texte mit politischer Bedeutung und schlägt einen Bogen vom Konzeptualismus in die Gegenwart.

Dirk Uffelmann (Gießen): Performative in politischer Lyrik der Ukraine

Im Rahmen des mit der Kolleg-Forschergruppe FOR 2603 „Lyrik in Transition“ zusammenhängenden Panels „Dichtung macht Politik“ soll dieser Beitrag verschiedene Spielarten von politischer Performativität in Gegenwartslyrik in den Blick nehmen.
Insofern Lyrik immer mehr (zunächst) im Internet publiziert wird, betrifft sie die kommunikativen Performative von Online-Interaktion wie Be- und Entfreunden, Echokammer-Bildung o- der Schweigespirale. Aber auch die lyrische Sprache selbst kann als Instrument sprachperformativer Politik eingesetzt werden.
Am Werk des russischsprachigen ukrainischen Dichters Boris Chersonskij wird in diesem Beitrag vorgeführt, wie politische Lyrik Kritik am russischen Imperialismus artikuliert und ‚performiert‘ – u.a. durch tagespolitische Einmischung, durch die ironische Aneignung von politischer Hassrede (Judith Butler) wie dem Russophobie-Vorwurf oder durch Sprachwechsel vom Russischen ins Ukrainische.

Der tschuwaschische Dichter Gennadij Ajgi sagte 1985 in einem Interview, wie es eine „Geschichtsphilosophie“ gebe, müsse auch eine „Literaturphilosophie“ (философию литературы) geschaffen werden. Ihre Aufgabe sah er darin zu erklären, wie die durch schöpferische Inspiration erlangte Erfahrung transzendenter Wirklichkeit in dichterische Sprache transformiert wird und auf welche Weise Poesie es vermag, metaphysische Einsichten über die auditiv und visuell gestaltete Faktur des poetischen Sprachgebildes zu transportieren. Die Möglichkeiten einer solchen „Philosophie der Literatur“ sollen im Panel am Beispiel einzelner polnischer und russischer GegenwartsdichterInnen und im Hinblick auf deren poetologischem Selbstverständnis ausgelotet werden.
Marlene Bainczyk-Crescentini fragt nach der Bedeutung der Kunst für die Selbstvergewisserung des Individuums als Teil einer metaphysischen Weltordnung im Werk Zbigniew Herberts, die sich dem künstlerisch tätigen Subjekt über epiphanische Erlebnisse mitteilt. In eine ähnliche Richtung weist der Beitrag von Dorota Kozicka, die die Bedeutung des zerbrechlichen Gerüsts poetischer Sprache als fragile Möglichkeit eines Transzendenzbezugs im Werk von Eugeniusz Tkaczyszyn-Dycki verfolgt. Thomas Epstein stellt die Bemühungen Viktor Krivulins um eine Wiederbelebung metaphysischer Dichtung innerhalb der inoffiziellen russischen Literaturszene der 70er Jahre vor, und Angelika Schmitt versucht, Ansätze zu einer Epistemologie des dichterischen Schaffensprozesses im Werk von Elena Švarc und Gennadij Ajgi herauszuarbeiten, die sich innerhalb eben dieser Strömung poetisch betätigten.

Marlene Bainczyk-Crescentini (Heidelberg): Kunst und Metaphysik bei Zbigniew Herbert

Am Anfang von Zbigniew Herberts Werk steht der Krieg und mit ihm die Erkenntnis „Gott ist tot“; insbesondere das institutionalisierte Christentum, das bei ihm totalitäre Züge annimmt, lehnt er als metaphysisches Deutungsangebot ab. Seine Gedichte zeichnen sich mithin durch eine deutliche Diesseitigkeit aus, die sinnliche Erfahrung wird aufgewertet, bietet sie doch Zugang zu einer Welt, die in ihrer konkreten Greifbarkeit über einen unumstößlichen Wahrheitsgehalt verfügt. Doch empirische Erkenntnis allein trägt nicht, und so spricht aus seinem Werk ebenso die Suche nach einem Sinn, der den Menschen in einem Sein verwurzelt, das jenseits der sinnlich wahrnehmbaren Welt liegt. Diese doppelte Gerichtetheit spiegelt sich im Titel des Bandes Hermes pies i gwiazda: Hermes, Alter-Ego des Dichters, steht als Mittler zwischen den beiden Polen der menschlichen Existenz: Während der Hund die Verhaftetheit des Menschen im Sinnlich-Kreatürlichen bezeichnet, repräsentiert der Stern sein Streben nach Transzendenz. Auf diese Weise profiliert Herbert die Kunst als metaphysische Tätigkeit, die es dem lyrischen Ich über Epiphanie-Erlebnisse ermöglicht, sich selbst als Teil einer sinnhaften Ordnung zu begreifen und die bloße Zufälligkeit des menschlichen Daseins zu überwinden.
Anhand exemplarisch ausgewählter Gedichte untersucht dieser Beitrag den Zusammenhang von Kunst und Metaphysik in der Lyrik Herberts sowie die Entwicklung dieses Verhältnisses in den verschiedenen Schaffensperioden des Autors.

Dorota Kozicka (Krakau) : „die ungläubigkeit / eine sehr böse frau mit der wir einen Herrn teilen“ – Das Metaphysische in der Lyrik von Eugeniusz Tkaczyszyn-Dycki

Die geistige Sinnsuche der Dichtung wird zumeist einem traditionellen Verständnis der religiösen Poesie zugeordnet oder als moderne Variante der literarischen Suche nach dem Sacrum verstanden, zu der epiphanische Lyrik gehört. Möglich ist aber auch ein dritter Weg, den ich in meinem Beitrag aufzeigen möchte. Diesen Weg beschreitet Piotr Bogalecki im Buch Die glücklichen Schuldigkeiten des Theolinguismus, indem er die linguistische Lyrik aus einer postsekulären Sicht heraus beschreibt. Diese Perspektive ermöglicht ihm, das Augenmerk auf die „frappierende Gegenwart des religiös-theologischen Moments“ zu richten, wobei die „Linguistizität“ hier verstanden wird als „erhöhte sprachliche Sensibilität“, die steigerbar ist und gelegentlich Anwendung findet.
Bogaleckis Überlegungen folgend möchte ich die Lyrik von Eugeniusz Tkaczyszyn-Dycki betrachten. Dabei wird mich sowohl interessieren, inwiefern die postsekuläre Sichtweise es ermöglicht, das zu erfassen oder zu Tage zu fördern, was metaphysisch ist, als auch die Dichtung des Autors des Liber mortuorum. Der ostentativ künstliche und ebenso ostentativ authentische Dichter, der gleichermaßen die singuläre Erfahrung des Individuums als auch die „geistige Heimatlosigkeit“ der heutigen Welt beschreibt mit all ihren Refrains, biblischen, barocken und gebetsbuchartigen Phrasen, verweist auf das sprachliche Gerüst als zerbrechliche Alternative zur Nichtigkeit.

Thomas Epstein (Boston) : Metaphysics in the Dark: Viktor Krivulin’s “Voskresnye oblaka” [Wird verlesen]

Viktor Krivulin (1941-1999), leading poet and theoretician of Leningrad’s ‘unofficial’ culture, experienced the death of metaphysics both ‘officially’ from his Soviet experience of Marxist materialism and ‘unofficially’ from his engagement with Western post-metaphysical thinkers like Nietzsche, Camus and Martin Heidegger. Drawing on Russia’s own ‘metaphysical tradition’ (especially Baratynsky and Tiutchev), the Silver Age, and the “Soviet night” Krivulin pioneered a ‘metaphysical revival’ in Soviet-Russian poetry by creating a conceptual and culturological poetic project that explored the depths of human historical, linguistic, and spiritual experience. His 1970s samizdat cycle Voskresnye oblaka is the first fruit of this ambitious enterprise.

Angelika Schmitt (Trier) : Metaphysische Perzeption und Erkenntnis bei Elena Švarc und Gennadij Ajgi

In Aleksandr Puškins bekanntem Gedicht „Prorok“ wird der Dichter-Prophet mit vier Fakultäten ausgestattet: Ein göttlicher Sendbote transformiert die Fähigkeiten des Sehens und Hörens und wechselt Zunge und Herz aus. Elena Švarc greift diese Symbolik im Gedicht „Apostol“ auf, wo sich die Transformation jedoch nicht als blutige Operation, sondern durch die „Feuerzunge“ des Heiligen Geistes vollzieht. Auch bei Švarc wird der Dichter mit metaphysischen Fähigkeiten ausgestattet, die unmittelbar in der transformierten Physis realisiert werden, wobei Perzeption und Erkenntnis zusammenfallen.
Während hier die Erlangung höherer Perzeptionsfähigkeiten durch das Eingreifen einer höheren Macht geschieht, beruht sie bei Gennadij Ajgi auf einer vom menschlichen Subjekt hervorgebrachten Anstrengung. In seinem Werk repräsentieren Schweigen und Stille den Moment des mystischen Nichts, durch das das schöpferische Bewusstsein hindurchgehen muss, um zu einer höheren Art visueller und auditiver Wahrnehmung zu gelangen. Diese kommt seinem poetologischen Selbstverständnis nach in der spezifischen Faktur des poetischen Sprachgebildes auf der graphischen und der phonischen Ebene zur Geltung.
Der Beitrag möchte den Zusammenhang von inspirativer Erfahrung als erweiterter Perzeptions- und Erkenntnistätigkeit mit der auditiv-phonischen und visuell-graphischen Faktur eines poetischen Sprachgebildes im Werk von Švarc und Ajgi beleuchten. Auf dieser Grundlage soll die Frage nach der Möglichkeit einer Epistemologie des dichterischen Schaffensprozesses erörtert werden.

Das Panel fragt nach Strategien und Tendenzen in Übersetzungen von Gedichten aus und in slavische Sprachen in der Gegenwart. Wie wird mit der Verschiedenheit kultureller Kontexte und Übersetzungstraditionen von Lyrik umgegangen, welche Rolle spielen die Poetiken und Intentionen der Übersetzer sowie nicht zuletzt die Schwierigkeit, Analoga für die prinzipiell sich einer Übersetzung versperrende kunstvolle sprachliche Form zu finden?

Adrian Wanner (Pennsylvania) : Self-Translation among Contemporary Russian-American Poets

The practice of literary self-translation, i.e., the rendition of one’s own creative work in a different language, has only relatively recently emerged as a focus of serious scholarly attention. With its presumed untranslatability because of its rootedness in a particular linguistic medium, poetry presents a special challenge to a bilingual self-translator. This paper explores the practice of self-translation by two contemporary Russian-American poets, Andrey Gritsman (b. 1947) and Katia Kapovich (b. 1960). For both of them, translating their own work from Russian into English becomes a means of exploring the mutation of the self through time, migration, and changing linguistic and cultural environments. A significant difference between the two poets concerns the way in which they present their self-translations. Gritsman invites a comparison between source and target text and the gaps between them in a bilingual en face edition. In contrast, Kapovich camouflages her self-translated poems as English originals. In spite of the different staging and performance of self-translation, both poets – by stressing difference rather than similarity in translation – turn their self-translated texts into a metacommentary on their own shifting transnational identities.

Andrea Meyer-Fraatz (Jena) : Vergleichende Analyse von Übersetzungen eines deutschen Gedichts in verschiedene slavische Sprachen

Gedichtübersetzungen sind aufgrund der besonderen sprachlichen Bedingungen der Versdichtung stets Interpretationen ihrer Ausgangstexte. Hinzu kommen unterschiedliche literarische Traditionen und Konventionen des Übersetzens in den einzelnen Kulturen. Durch einen Vergleich von Übersetzungen eines Gedichts in verschiedene Sprachen und damit Kulturen soll diese Bedingtheit des Übersetzens von Lyrik exemplifiziert werden.

Katina Baharova (Trier) : Bulgarische Gegenwartsdichtung in deutscher Übersetzung

Wie gestalten sich poetische Übersetzungen bulgarischer Lyrik der Gegenwart in das Deutsche? Ausgehend von gängigen Theorien der literarischen Übersetzung, die sich auf den pragmatisch-kommunikativen bzw. den ästhetischen Aspekt der Textübertragung fokussieren, lassen sich zwei Tendenzen aufzeichnen: Während die Texte der klassischen bulgarischen Literatur (z. B. Ivan Vazov, Pejo Javorov) den Übersetzer vor allem vor eine sprachliche Herausforderung stellten, entstehen bei Autoren der Gegenwart (Georgi Gospodinov, Kristin Dimitrova, Mirela Ivanova) Probleme durch kulturelle Allusionen, wenn sie auf historische Ereignisse oder soziale Phänomene anspielen. In den Mittelpunkt der Untersuchung werden dominante Strategien poetischer Übersetzung bulgarischer Lyrik ins Deutsche gerückt.

Alexandra Tretakov (Universität Trier) : Der kommunikative Aspekt russischer Celan-Übersetzungen

Im Fokus der Untersuchung steht der kommunikative Aspekt poetischer Übersetzung. Am Beispiel russischer Celan-Übersetzungen wird ein mehrschichtiges Adressatenmodell aufgezeigt: Eine Übersetzung führt einen Dialog sowohl mit dem Autor des Originals als auch mit dem Text selbst – durch den Transfer seiner kulturellen, sprachlichen und literarischen Kontexte in die Zielsprache übernimmt sie eine Vermittlerfunktion zwischen dem Autor des Ausgangsgedichtes und dem russischen Leser. Die Erschaffung eines neuen poetischen Textes führt, vor allem im Hinblick auf den Zielsprachenleser, unwillkürlich zu einem Autodialog des Übersetzers. Im Falle von mehrfach vorhandenen Varianten russischer Celan-Gedichte lässt sich außerdem die Kommunikation unter-, teilweise auch gegeneinander beobachten.

Современная русская поэзия особенно значима для понимания мощных преобразований русской языковой системы, которые стали следствием постперестроечных изменений. Множество новых слов и выражений, возникших как необходимое следствие изменившихся политических и бытовых реалий, сильное влияние европейской и американской культуры и способа жизни на русскую и русскоязычную молодёжь, влияние интернета и возможность свободного общения с друзьями, коллегами и корреспондентами разных стран и регионов России – всё это отразил и язык современной русской поэзии. Его отличительной особенностью является «смешение стилей»: язык русской классики в стихах современных поэтов инкрустируется в живую речь, включая жаргонизмы, англицизмы и регионализмы. В докладах участников тематического блока рассматриваются основные языковые процессы в современной русской поэзии, иллюстрируемые богатым лингвистическим материалом.

Мaksim Krongauz (Moskau) : Разнообразие сетевой поэзии и её лингвистические особенности

В центре исследования находятся уже освоенные жанры сетевой поэзии – пирожки и порошки, но также привлекаются и другие, в частности, одностишия и двустишия. Ставится задача очертить границы сетевой поэзии, поскольку сама по себе публикация в интернете или на бумаге не может служить конституирующим свойством. В качестве релевантных признаков сетевой поэзии предлагается рассматривать минимализм и особенности формального представления стихотворения.
Для пирожков и порошков, наряду с формальными требованиями, уже сложилась определенная традиция, касающаяся содержания. В частности, интерес представляет выбор персонажей стихотворных произведений и, даже более конкретно, выбор имён собственных, которые можно классифицировать по разным признакам, например, реальные и выдуманные, культурно значимые и незначимые. Анализ имён собственных позволяет, с одной стороны, выделить постоянные характеристики их носителей, своего рода стихотворные портреты, а с другой стороны, наметить канонические темы и приёмы, с ними связанные.

Heinrich Pfandl (Graz) : Свой и чужой текст в новых поэтических жанрах рунета

Если исходить из аксиомы Жака Деррида, что весь мир – текст и не существует внетекста (Деррида 2000: 313), то современная интернет-поэзия подтверждает это положение. Как нам представляется, именно в новых, постоянно появляющихся в интернете жанрах, то есть в «пирожках», «порошках», «демотиваторах», «аткрытках» и некоторых других, отношение к текстовому материалу принципиально иное. Если раньше поэты ссылались на другие произведения, пародировали и цитировали их, вступали с ними в диалог, обыгрывали чужой текст или жанр, вели диалоги названия с текстом, то теперь дело обстоит принципиально иначе. Поскольку авторы, пишущие в названных жанрах, как правило, анонимны, они вольно используют чужой текст и, игнорируя законы цитирования, не боятся оказаться опасной области плагиата. Если для декодирования традиционной поэзии было важно знать прецедентный текст или хотя бы догадываться о его существовании, а также уметь устанавливать смыслопорождающую связь между текстом А и текстом Б, то теперь брошенное на произвол судьбы в дебри интернета четверостишие может без существенной потери смысла восприниматься как оригинальный и автономный новый текст. В докладе будет сделана попытка проанализировать возможные типы рецепции коротких стихотворных текстов, бытующих в интернете и содержащих в себе смесь своих и чужих элементов, сливающихся в одно новое многозначное целое.

Literatur: Деррида, Жак. 2000: О грамматологии. Москва: Ad Marginem.

Valerij Dem’jankov (Moskau) : О языковых свойствах русской макаронической

Исследование текстов современной русской поэзии связано не только с установлением свойств современного русского языка, но и с выявлением того, как развиваются общецивилизационные представления о коммуникации и о мире, в котором живёт человек. Наиболее показательны те свойства употребления языка (соссюровского langage, а не langue), которые варьируются от человека к человеку, от культуры к культуре, что позволяет, в частности, выявить ограничения, накладываемые цивилизацией на конкретные языки и культуры, путём эмпирического изучения конкретных «дискурсных культур». Одной из таких дискурсных культур является современная русская макароническая поэзия, понимание которой предполагает знакомство интерпретатора с
поэзией И.П. Мятлева, особенно с текстом знаменитой поэмы «Сенсации и замечания госпожи Курдюковой» (1844) как с «типовым образцом» данного жанра.
В докладе анализируются макаронизмы (употребление иноязычных вкраплений с соответствующим художественным эффектом) в поэтическом тексте современной русской поэзии и выявляются причины, приводящие к тому, что из множества конкурентов в конкретной позиции выбирается заведомо «чуждый (иноязычный) элемент», «элемент не отсюда». Макаронизм как заведомая иноязычность освобождает коммуникацию и самого поэта от «тяжких оков» действительности, от обязательств адекватности в этой коммуникации. Когда-то в нашей науке говорили в этой связи об уходе от действительности в определенные эпохи общественной жизни. Однако не менее вероятно, что поэт чувствует, как мир – чужая действительность – уходит от него.

Alexander Bierich (Trier) : Aрго в русскоязычной поэзии конца XX – начала XXI века

В конце XX – начале XXI века русский язык испытал сильное влияние субстандартных языковых вариантов, прежде всего просторечия, различных жаргонов и арго. Среди субстандартных элементов, проникших в лексический состав русского языка в этот период, арготизмы занимают первое место. Причинами такого широкого распространения арготической лексики являются, с одной стороны, её повышенная экспрессивность, и, с другой стороны, известная криминализация общества в 90-е годы XX в. и расширение сферы влияния уголовного мира на российское общество. Проявления этой тенденции можно наблюдать и в русскоязычной поэзии конца XX – начала XXI вв., в которой арготизмы занимают большое место.
Проникновение арготизмов в поэзию, как правило, сопровождалось расширением их значения, ср.: завязать ‘бросать что-л. делать, кончать с чем-л. раз и навсегда’ (в арго ‘закончить криминальную деятельность’) и т.д. Большинство этих слов относится к общей части криминального арго, используемой всеми деклассированными группами. Из специализированных арго особенно сильное влияние на поэзию оказало тюремное и лагерное арго, ср.: зона ‘место заключения осуждённых; лагерь’, баланда ‘жидкая невкусная похлёбка (обычно в тюрьме)’ и др. В докладе подробно анализируются а) типы арготизмов и их происхождение; б) идеографическая специфика арготической лексики в совре- менной поэзии; в) стилистическое употребление арготизмов и т.п. Каждый аспект рас- смотрения материала подробно иллюстрируется примерами.

Boris Norman (Minsk) : Хиазм как приём в современной поэзии

Хиазм (Chiasmus) – синтаксический перевёртыш, трансформационная манипуляция, которую производит говорящий над текстом: выбранные уже слова обмениваются своими синтаксическими позициями (либо наоборот: синтаксические позиции обмениваются предназначенными для них словами), ср. пример: Весь сад в дожде! Весь дождь в саду! (Б. Ахмадулина). Возможности (предпосылки) хиазма в языке обусловливаются тремя внутренними факторами: а) свободой словопорядка, б) системой предложно-падежных форм и в) развитостью словообразования. Наряду с хиазмом эксплицитным, можно выделять также хиазм скрытый, имплицитный, при котором перевёрнутая структура рассматривается на фоне «привычного» положения дел: Не трожь человека, деревце… Не бей человека, птица… (А. Вознесенский).
В качестве своего рода языковой игры хиазм присутствует уже в старинных народных потешках-перевёртышах (Ехала деревня мимо мужика, глядь – из под собаки лают ворота…). Объективные психологические предпосылки хиазма можно также находить в особенностях механизмов порождения речи – обмолвках типа так называемых спунеризмов (Всю ночь сомей не очкнул – В. Набоков).
Однако хиазм – не просто механическая процедура: он влечёт за собой сдвиг в привычных когнитивных моделях, способствует изменению картины мира в глазах носителя языка. И потому в русской поэзии конца ХХ века хиазм становится популярным приёмом. В докладе приводятся примеры из поэтического творчества А. Вознесенского, Б. Ахмадулиной, Е. Евтушенко, Д. Самойлова, В. Высоцкого, О. Григорьева, Ю. Казарина, В. Полозковой и др.