Kollegvortrag, 21. November 2018

Gastvortrag – Dr. Brigitte Obermayr: „Daten und Namen im Gedicht. Versuch zum »Datumsgedicht« zwischen Eigenlogik und Fremdbestimmung am Beispiel D.A. Prigov“

Zeit:
21. November 2018, 16:00 - 18:00
Ort:
Universität Trier, Raum DM 131
Sprache:
  Deutsch
Referent/in:
Brigitte Obermayr

Die DFG-Kolleg-Forschungsgruppe „Russischsprachige Lyrik in Transition“ (FOR 2603) lädt zu einem Gastvortrag von Frau Dr. Brigitte Obermayr (Slavistik, LMU München) ein: Daten und Namen im Gedicht. Versuch zum »Datumsgedicht« zwischen Eigenlogik und Fremdbestimmung am Beispiel D.A. Prigov


Zum Vortrag:

»Inwiefern ist das Gedicht durch ihm Äußerliches bedingt, und inwiefern wird solche Fremdbestimmung aufgehoben durch die eigene Logik des Gedichts?« fragt Peter Szondi mit Blick auf Paul Celans Lyrik und stellt damit eine allgemeine Frage nach Formen und Prämissen des Lyrischen, um die es im Vortrag – freilich in zugespitzter Form – gehen wird: In welchem Verhältnis stehen die ›äußerlichen‹ Referenzen des lyrischen Textes zu seiner sprachlichen Realität? Was darf außerhalb dieser Realität, dieser ›Eigenlogik‹ sein, bedeuten? Inwiefern öffnet sich das Lyrische im Falle solcher ›äußerlicher Referenzen‹ einer ›Fremdbestimmung‹ die eigentlich nicht lyrisch oder gar ein Verrat an Kunstautonomie ist? Nicht nur Sagbarkeiten, auch Wissbarkeiten, das zeigt der Verweis auf Celan bereits an, sind bei dieser Frage mit im Spiel.Vor diesem Hintergrund soll mit Blick auf einige Gedichtzyklen von Dmitrij A. Prigov (u.a. »Vsmysle« / Soll heißen [1993] und »Grafika peresečnija imën i dat« / Verzeichnis der Überschneidungen von Namen und Daten [1994]) eine Entgrenzungsbewegung aufgezeigt werden, die als Explikation und Exkorporation von Referenzen – wir werden Eigennamen und Datierungen in den Blick nehmen – das der Lyrik Äußere zu deren Gegenstand macht. Datierungen deshalb, weil sie sozusagen das Konkretum des ›Datenhaften‹ (Referenziellen) darstellen. Zu zeigen wird sein, wie sie für das Gedicht thematisch und vor allem formbildend werden können. Gattungshistorisch und Gattungspoetisch wird dabei das Gelegenheitsgedicht als »Zeitgedicht« (Wilke) eine wichtige Rolle spielen. In Analogie zur Datierung wird der Eigenname als das banale Konkretum des ›Namenhaften‹ des lyrischen Wortes dann Sprachmaterial, wenn entgegen der lyrischen Wort- als Namensschöpfung, Bedeutungen von Eigennamen ausbuchstabiert oder durch Einfügung in lyrische Formschemen als lyrisch ›Bedeutendes‹ installiert werden.Das Datumsgedicht lässt die Verallgemeinerung der Daten im Erlebnisgedicht hinter sich und wendet sich ihrer Singularisierung zu. Im Gegensatz zum idealistischen Paradigma der Erlebnisdichtung, der es um die Verallgemeinerung des Bezugs zum singulären Erlebnis geht, bleibt im ›Datumsgedicht‹ die »Einmaligkeit des Gelegenheitsbezugs« (Gadamer) präsent: Nicht so sehr als Indikation, sondern als Performanz eines Grenzverlaufs: Zwischen allgemein Bedeutendem und singulärer Banalisierung, zwischen Richtungsweisendem und Punktuellem, zwischen metaphysischem Dialog und belanglosem Zwischenruf, zwischen Unmöglichkeit des Ereignisses und Faktizität des Geschehenen.