Vorlesungsreihe, 17. April 2019

Öffentliche Ringvorlesung – Ol’ga Martynova: Wie (un)persönlich ist die Sprache?

Zeit:
17. April 2019, 18:00 - 20:00
Ort:
Universität Trier, Audimax
Sprache:
  Deutsch
Referent/in:
Ol'ga Martynova

Die DFG-Kolleg-Forschungsgruppe „Russischsprachige Lyrik in Transition“ (FOR 2603) lädt Sie herzlich ein zu der Öffentlichen Ringvorlesung zum Thema Lyrik heute: Existenz zwischen Sprachen und Kulturen:

Poetikvorlesung von Frau Ol’ga Martynova: Wie (un)persönlich ist die Sprache?

Thesen und Fragestellungen in Ol’ga Martynovas Vorlesung behandeln das Verhältnis zwischen den Manifestationen der Sprache – ihrer Semantik, ihrem Klang, ihrem Rhythmus sowie weiteren Eigenschaften – und einem Sprechenden oder Hörenden. Martynova geht den Zusammenhängen von Sprache und Welterschaffung nach; wie Adam den Dingen Namen gibt, sie dadurch erkennt und ihr Wesen offenbart, schafft auch der Dichter Wirklichkeiten. Schließlich stellt Olga Martynova die Frage, was Sprache sein kann: Ein Instrument? Ein Objekt? Ein Subjekt?

Biographie

Ol’ga Martynova wurde 1962 in der Nähe von Krasnojarsk (Sibirien) geboren, wo sie auch aufgewachsen ist und studiert hat (Russische Sprache und Literatur  an der Leningrader Hochschule für Pädagogik). 1991 zog sie zusammen mit Oleg Jurjew (1959-2018) nach Deutschland. Nach acht Jahren erschienen die ersten – ihrer inzwischen zahlreichen – Texte in deutschsprachigen Medien (Z.B. DIE ZEIT, Frankfurter Rundschau, Neue Zürcher Zeitung, Frankfurter Allgemeine Zeitung). Gleichzeitig publizierte Martynova in russischsprachigen Periodika und veröffentlichte vier Lyrikbände. Ihre Gedichte sind ins Deutsche, Französische, Schwedische, Italienische, Serbische und Englische übersetzt.

Seit dem Ende der 2000er Jahre schreibt Martynova auch literarische Prosa in deutscher Sprache. Sie erhielt mehrere bedeutende Literaturpreise, unter anderem den Berliner Literaturpreis (2015) und den internationalen Branko-Radičević-Preis in Serbien (2018). 2012 gewann Ol’ga Martynova den Ingeborg-Bachmann-Preis, den bedeutendsten Wettbewerb für einen unveröffentlichten Text in deutscher Sprache.

Ausgewählte Veröffentlichungen

Über die Dummheit der Stunde. Essays. S. Fischer Verlag, Frankfurt/Main 2018

Der Engelherd. Roman. S. Fischer Verlag, Frankfurt/Main 2016

Mörikes Schlüsselbein. Roman. Droschl, Graz 2013

Von Tschwirik und Tschwirka. Gedichte. Aus dem Russischen von Elke Erb und Ol’ga Martynova. Droschl, Graz 2012

Zwischen den Tischen. Ol’ga Martynova und Oleg Jurjew im essayistischen Dialog. Bernstein, Bonn 2011

Sogar Papageien überleben uns. Roman. Droschl, Graz / Wien 2010

In der Zugluft Europas. Gedichte. Aus dem Russischen von Elke Erb, Ol’ga Martynova, Gregor Laschen, Ernest Wichner, Sabine Küchler u. a., Wunderhorn, Heidelberg 2009

Mit Jelena Schwarz: Rom liegt irgendwo in Russland. Zwei russische Dichterinnen im lyrischen Dialog über Rom. Aus dem Russischen von Elke Erb und Ol’ga Martynova, Edition per Procura, Wien 2006

 

Mittwoch, den 17. April 2019

18-20 Uhr

HS 9 (Gebäude E), Universität Trier

Gäste sind herzlich willkommen!

Öffentliche Ringvorlesung – „Lyrik heute: Existenz zwischen Sprachen und Kulturen“

Das Kolleg richtet im Sommersemester 2019 mit Unterstützung durch die Universität und die DFG die Öffentliche Ringvorlesung aus. Hierfür wird erstmals an der Universität Trier das Format der Poetikvorlesung gewählt. In der Poetikvorlesung geben renommierte AutorInnen anhand eigener Textbeispiele und deren Reflexion Einblick in die Prinzipien ihres literarischen Schaffens, der im anschließenden Werkstattgespräch weiter vertieft wird.

Die Vorlesungen zum Thema „Lyrik heute: Existenz zwischen Sprachen und Kulturen“ werden von international bekannten LyrikerInnen gehalten, die zwischen verschiedenen Kulturen und Sprachen stehen und vermitteln. Sprache bildet Medium und Material der Lyrik, die in jüngster Theorie als „Display sprachlicher Medialität“ und sprachlicher „Generator ästhetischer Evidenz“ (Rüdiger Zymner) definiert wird. Das Evidenzmoment der Lyrik im Prozess ihrer Genese und Rezeption ist eine Existenzerfahrung, derer Menschen besonders in Krisen, aber auch Höhenflügen bedürfen – Dichten ist weniger Kunst und Ausdruck von Inhalten, als vielmehr Medium der Individuation. Welche Bedeutung hat dabei das Dichten für AutorInnen, die zwischen Sprachen und Kulturen stehen oder wechseln? Wie sehen sie ihren Umgang mit Sprache(n)? Welchen Bezug hat Dichten für sie zu ihrer eigenen Existenz und Individuation? Die sechs LyrikerInnen bekommen zur Aufgabe, ihre Poetik vorzustellen und die Rolle von Sprache(n), zumal Mutter- und Fremdsprache(n) sowie damit zusammenhängender kultureller Eigen- und Fremdkontexte in Bezug auf ihre persönliche Biographie zu beleuchten.

 

Das Programm im Überblick: 

17.04. Ol’ga Martynova: Wie (un)persönlichDas Plakat zu der Veranstaltung finden Sie hier. ist die Sprache?

24.04.Yang Lian: Poetry Inbetweenness: Tradition, Exile and Modernity as basic conditions of Chinese poetry

15.05.Michael Schmidt: “Messengers with news of light“: Dichtung aus drei Perspektiven

29.05.Yoko Tawada: Von Metaphernwäldern und flüchtigen Abenden

12.06.Ann Cotten: Kalifornische Erkundungen

19.06.Monika Rinck: ‚Tür auf – Tür zu – Tür auf‘ – Wiederholung zwischen Ideologie und Operette

 

Die LyrikerInnen und ihre Themen

Die Vorlesungsreihe eröffnet mit Ol’ga Martynova eine Autorin, die in der Nähe von Krasnojarsk (Sibirien) geboren ist, aber seit 1991 in Deutschland lebt und sich in den letzten Jahren auch innerhalb der deutschen Literaturszene einen Namen gemacht hat. Martynova ist Gewinnerin des Ingeborg-Bachmann-Preises 2012 und Trägerin des Berliner Literaturpreises (2015). Ihr Schreiben steht zwischen den Sprachen und Literaturen – ihre poetische Prosa verfasst sie seit 2000 auf Deutsch, ihre Gedichte weiterhin auf Russisch, aber in enger Verbindung mit der internationalen sowie der deutschen Lyriklandschaft. In ihrer Poetik gewinnt die Sprache ein Eigenleben, zu dessen Medium und Objekt das dichtende Subjekt wird. Yang Lian, geboren in der Schweiz und aufgewachsen in Peking, heute wohnhaft in London und Berlin, wurde mehrfach mit internationalen Preisen ausgezeichnet – allein 2018 erhielt er gleich drei Preise in drei verschiedenen Ländern: „He Ze Du Lin Cup”, Shanghai, China; Premio International NordSud (2018 NordSud International Prize) for Literature, Italien, und den Janus Pannonius International Poetry Grand Prize in Ungarn. Yang Lian spricht über transnationales Dichten, das sich zwischen den Kulturen und Sprachen bewegt, wobei die Bandbreite von Ostasien über Europa bis nach Amerika reicht. Der in Mexiko geborene, in England ansässige Michael Schmidt, dessen Vorfahren aus Deutschland kommen, hat die Entwicklung der britischen Lyrik seit mehr als fünfzig Jahren in dreifacher Weise begleitet und beeinflusst: als Verleger, als Wissenschaftler (u.a. mit Professuren für Kreatives Schreiben) und nicht zuletzt als Dichter. Noch als Student in Oxford übernahm Michael Schmidt 1967 den Verlag Carcanet, der heute der bekannteste Lyrikverlag Großbritanniens ist, sowie 1973 das Lyrikmagazin PN Review. Seitdem fungieren Verlag und Magazin als publizistische Heimat für LyrikerInnen der Weltliteratur. Schmidts Lyrik bringt Stimmen der Weltlyrik, darunter etwa Hugo von Hofmannsthal, Boris Pasternak, Robert Frost oder Octavio Paz, in den Dialog mit seiner eigenen, durch Melancholie und Ironie gekennzeichneten Stimme. Yoko Tawada, geboren in Tokyo, heute wohnhaft in Berlin, ist weltbekannt für ihr Schreiben zwischen japanischer und deutscher Sprache und Kultur und hat eine Reihe an bedeutenden internationalen Auszeichnungen bekommen, etwa 1992 den Akutagawa-Preis, 2016 den Kleist-Preis und zuletzt 2018 die Carl-Zuckmayer-Medaille, die für Verdienste um die deutsche Sprache verliehen wird. Ihre Poetik kennzeichnen die Transformation und Überwindung von sprachlichen, geografischen sowie körperlichen Grenzen. Mit Sprachspielen und Wortwitz arbeitet Tawada Yoko kulturelle Unterschiede heraus, indem sie u.a. europäische und östliche Mythen aus dem Zusammenhang herauslöst und diese auf originelle Weise umschreibt. Monika Rinck, zuletzt 2015 mit dem Kleist-Preis und 2017 dem Ernst-Jandl-Preis ausgezeichnet, gehört zu den deutschen SpitzenlyrikerInnen, welche die Grenzen der Sagbarkeit poetischer Sprache ausloten und dabei die Beziehungen zu anderen Medien, wie etwa der Musik, einsetzen. Denn die Verständlichkeit sogenannter ‚einfacher Sprache‘ steht für sie im Verdacht von Macht und Ideologie. Auch Ann Cotten, geboren in Iowa, von 1987 an in Wien, seit 2006 in Berlin beheimatet, ist gleichfalls mit vielen Preisen ausgezeichnet, darunter mit dem Adelbert-von Chamisso-Preis, dem Klopstock-Preis und dem Hugo-Ball-Preis. Sie ist eine Lyrikerin zwischen den Sprachen und Kulturen par excellence – neben dem Englischen und Deutschen fasziniert sie auch das Japanische; die Immigrationsproblematik bildet das Herz ihrer Poetik. Als Ergebnis ihres derzeitigen Stipendiums in der kalifornischen Villa Aurora geht sie im Vortrag der Vielstimmigkeit der amerikanischen Westküste unter der Frage von Immigration und innerem Exil oder auch der Quasi-Exilierung der Ureinwohner nach.

Gäste sind herzlich willkommen!

Einen Flyer zu der Veranstaltung finden Sie hier.